„Es muss nicht immer radikal sein“

Digitalisierung fordert neues Denken

Wenn ein Systemhaus wie der Microsoft-Partner Cosmo Consult drei Jahre nach der Abspaltung die ehemalige Muttergesellschaft akquiriert, beschreibt das die positive Geschäftsentwicklung recht gut. Der Vorstandsvorsitzende Uwe Bergmann gibt Einblick in die Strategie seines Unternehmens, vor allem vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Digitalisierungsthematik.

  • Uwe Bergmann, Cosmo Consult

    „Wir wollen den Kunden die gesamte Orchestrierung ihrer IT-Landschaften aus einer Hand liefern, mit der Basis ERP“, so Uwe Bergmann, Cosmo Consult.

  • Uwe Bergmann, Cosmo Consult

    Uwe Bergmann, Cosmo Consult: „Neu zu denken, hört sich einfach an, es ist jedoch alles andere als einfach, ein gut funktionierendes Geschäftsmodell aufzugeben.“

  • Uwe Bergmann, Cosmo Consult

    „Die Industriegeschichte liefert genügend Beispiele für weitreichende Umwälzungen, die digitale Disruption geschieht im Vergleich dazu einfach nur viel schneller“, meint Uwe Bergmann, Cosmo Consult.

  • Uwe Bergmann, Cosmo Consult

    Uwe Bergmann, Cosmo Consult: „Man sollte das Aufstellen der Regeln nicht alleine den Tech-Giganten überlasen, sondern sollte das Heft des Handelns in der Hand halten.“

IT-DIECTOR: Herr Bergmann, können Sie uns die Entwicklung Ihres Unternehmens näherbringen?
U. Bergmann:
Neu gestartet sind wir 2011 in Berlin und Dresden mit 70 Mitarbeitern als Spin-off aus Tectura, einem Microsoft-Partner, der „die alte“ Cosmo Consult 2004 übernommen hatte. Relativ schnell eröffnete dann eine erste Niederlassung in Süddeutschland, und seitdem sind wir jedes Jahr sehr stark gewachsen.

IT-DIRECTOR: Durch weitere Akquisitionen?
U. Bergmann:
Unsere erste Akquisition war eine Business-Intelligence-Company aus Würzburg, mit der wir unser ERP-Portfolio ergänzen wollten. 2014 erhielten wir dann die Gelegenheit, unsere ehemalige Muttergesellschaft zu kaufen, was natürlich sehr interessant war, weil wir die Produkte, die Mitarbeiter, die Kunden und die Strukturen dort genauestens kannten. Mit dieser ersten großen Akquisition kamen zu den damals bereits ca. 250 Mitarbeitern weitere 150 hinzu. Gemessen an dem vorher bereits recht starken Wachstum bedeutete dies nochmals einen echten Sprung.

Nachdem wir diesen Aufkauf organisatorisch weitgehend abgeschlossen hatten, kamen 2015 drei weitere Firmen hinzu, eine in Deutschland eine in Frankreich und eine größere in Spanien. 2017 haben wir dann noch zwei Unternehmen in Österreich und zwei in Deutschland akquiriert. In Österreich sind wir damit in einem Jahr von Null zum größten Microsoft-Dynamics-Partner geworden.

IT-DIRECTOR: Ist Internationalisierung eines der angestrebten Ziele?
U. Bergmann:
Die Internationalisierung ist bei uns bereits Realität. Seit 2014 sind wir in Schweden, Frankreich, Spanien und der Schweiz aktiv. Nun stand die Entscheidung an, unsere zu der Zeit vergleichsweise geringen Aktivitäten in Spanien in größerem Stil auszubauen oder es ganz zu lassen. Über diesen weiteren Zukauf in Spanien konnten wir auch in Lateinamerika Aktivitäten aufnehmen, wo wir aktuell der zweitgrößte Microsoft-Partner sind.

IT-DIRECTOR: Heißt das auch, dass Sie Ihr angestammtes mittelständisches Kundenumfeld bewusst erweitern und multinational agierende Anwender angehen?
U. Bergmann:
Mittelstand ist immer eine Definitionsfrage. Bei Microsoft fallen auch Unternehmen mit bis zu 5.000 Mitarbeitern darunter. So weit gehen wir nicht, jedoch sind wir hinsichtlich der Kundengrößen inzwischen relativ breit aufgestellt: Das Spektrum reicht von 50 bis zu 20.000 Mitarbeitern.

Dabei verfügen wir einerseits über eine sehr regionale Struktur mit lokalen Niederlassungen und sehr direkter Kundenbetreuung. Auf der anderen Seite steht die Gesamtorganisation, die auch große Unternehmensgruppen und Konzerne bedient.

Und ja, wir adressieren bewusst internationale Unternehmen. Viele unserer mittelständischen Kunden, selbst kleinere mit 200 oder 300 Mitarbeitern, sind jedoch ohnehin längst international unterwegs – einige mit zwei oder drei Standorten, andere mit zehn und mehr.

IT-DIRECTOR: Reichen für die internationale Betreuung die jeweiligen Länderniederlassungen oder gibt es dedizierte Teams innerhalb der Gesamtorganisation?
U. Bergmann:
Cosmo Consult International befasst sich als eigene Einheit explizit mit Internationalisierungsthemen. Diese Unit unterstützt die Kunden beim Ausrollen ihrer Internationalisierungsstrategien, implementiert die entsprechenden Software-Lösungen – Microsoft Dynamics sowie unsere eigenen Lösungen – und übernimmt zudem das Partnermanagement. Denn da wir nicht in jedem Land eigene Standorte haben können, arbeiten wir mit den dortigen Dynamics-Partnern zusammen. Im besten Falle kennen wir diese Partner bereits aus Vorgängerprojekten oder ermitteln sie in einem Auswahlverfahren. Somit haben die Anwender einen festen Ansprechpartner, sozusagen als Generalunternehmer.

Wir bieten auch globalen Support und globales Lizenzmanagement für Microsoft-Produkte an. Manche Kunden haben in verschiedenen Ländern irgendwann einmal irgendwelche Lizenzen gekauft und haben in diesen gewachsenen Strukturen keinen Überblick mehr über ihren Bestand und die Lizenzrechte. Wir ziehen sämtliche Informationen zusammen und ermitteln etwaige Volumenvorteile, die wir mit Microsoft aushandeln.

IT-DIRECTOR: Wie sieht denn die Zusammenarbeit mit Microsoft bei der Entwicklung neuer Technologien und Business-Lösungen aus?
U. Bergmann:
Microsoft legt in fast allen Bereichen gerade eine wahnsinnige Entwicklungsgeschwindigkeit an den Tag. Mir fällt eigentlich gerade keine Sparte ein, wo dies nicht der Fall ist.

IT-DIRECTOR: Es gibt einen Bereich: mobile Endgeräte und Betriebssysteme.
U. Bergmann:
Stimmt, wobei ich glaube, dass man einfach eingesehen hat, diesen Kampf verloren zu haben. Das ist aber gar nicht schlimm, weil stattdessen die Entscheidung fiel, die eigenen Cloud-Services und -Applikationen auf allen Endgeräten bereitzustellen und sich damit gänzlich unabhängig von jeglichen Endgeräten zu machen. Was die Devices an sich anbelangt, war der Zug irgendwann abgefahren. Aber alles, was die Business-Lösungen anbelangt, geht gerade extrem nach vorne.

IT-DIRECTOR: Was meinen Sie im Speziellen?
U. Bergmann:
Es beginnt mit Office 365, für das im Wochentakt neue Features hinzukommen. Gleiches gilt für die Cloud-Plattform Azure. 2018 kommt bei Dynamics die Version 365 Tenerife, bei AX werden auch ständig Neuerungen in den Standard aufgenommen. Ein weiteres Beispiel ist Power-BI.

Von Microsoft kommt gerade ein unfassbarer Drive. Es verlangt den Partnern einiges ab, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben – damit ist eine ganze Reihe von Mitarbeitern ständig beschäftigt. Denn wir versuchen, das ganze Spektrum anzubieten und nicht mehr „nur“ ERP, worauf bisher unser Fokus lag. Vielmehr wollen wir die angrenzenden Prozesse und Arbeitsbereiche einbinden. Dies beginnt bei Azure und reicht bis hin zum Modern Workplace.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 01-02/2018. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

Auch Big Data und Analytics, wo wir einige Zukäufe getätigt haben, werden immer wichtiger für uns. Unter anderem kam die auf Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Max-Con Data Science hinzu – ein immens wachsendes Geschäftsfeld.

IT-DIRECTOR: Dennoch bleibt das ERP-System das Herzstück der Unternehmens-IT?
U. Bergmann:
Vom Ansatz her bildet bei all diesen Aktivitäten das ERP-System den zentralen Vertrauensbereich und den Kern, in dem alle wichtigen Geschäftsprozesse ablaufen und wo sämtliche Stränge zusammenlaufen. Deshalb ist das Thema Analytics beispielsweise aus unserer Sicht dort auch am besten angesiedelt.

Mit einem eigens aufgestellten Team entwickeln wir IoT-Lösungen, die ja selbst eine Fülle von Daten produzieren. Deren Verarbeitung erfolgt in unserer Prozessstruktur im ERP-System. Unsere Vision ist es, den Kunden die gesamte Orchestrierung ihrer IT-Landschaften aus einer Hand zu liefern, mit dem ERP-System als Basis.

IT-DIRECTOR: Mit welchen Anfragen kommen die Kunden auf Sie zu, unter der Prämisse, dass das ERP-System der Kern für weitere Digitalisierungsthemen ist?
U. Bergmann:
Wir gehen in den Dialog mit den Anwendern und haben für einzelne Bereiche Prototypen gebaut, die wir auf Veranstaltungen zeigen. Beispielsweise mit Sensorik ausgestattete Pumpen inklusive angeschlossenen IoT-Hubs. Wir zeigen auch Analytics-Szenarien mit Power BI, wo man durch Verstellen der Parameter schnell verschiedene Auswertungen erhält.

Es gibt viele Einstiegspunkte in das Thema Digitalisierung. Entsprechend haben wir Konzepte entwickelt, mit denen sich die Anwender ihren konkreten Zielen am besten nähern können. Es geht dann nicht mehr wie bisher darum, ein CRM-System zu implementieren, sondern zu eruieren, welche Ziele man mit der CRM-Einführung eigentlich erreichen will und welche Effekte entstehen können. Es geht darum, die Effizienz zu erhöhen und die Vorausschau auf die Marktentwicklung zu verbessern.

Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz der Virtual-Reality-Brille Hololens. Unsere Kunden beklagen gerade zunehmend den aufkommenden Fachkräftemangel. Dank der Brille ist es nun möglich, dass ein Ingenieur im Büro die Techniker beim Kunden vor Ort während laufender Reparaturen mit seinem Fachwissen unterstützt. Durch die Brille sieht er auf seinem Rechner, was der Techniker vor Ort gerade sieht. Dabei erfolgt die gesamte Kommunikation sprachbasiert, damit der Techniker beide Hände frei hat.

Dies zeigt, dass sich die Art und Weise, mit Technologie umzugehen, insgesamt gerade stark wandelt. Dabei geht es um mehr als um das ERP-System. Gartner spricht von Post-Modern ERP, das sich aus einer ganzen Reihe weiterer Komponenten zusammensetzen kann, die zudem nicht immer von einem Partner kommen müssen. Wir bedienen etwa auch SAP- und andere ERP-Anwender, weil wir das ERP-System für Field Service, Analytics oder Sales zunächst nicht benötigen.

IT-DIRECTOR: Kommen diese Microsoft-fremden Kunden explizit auf Sie?
U. Bergmann:
Solche Fälle gibt es. Denn gerade, wenn sich große Unternehmen und Konzerne digitalisieren wollen, können sie ja gar nicht nur mit einem Partner arbeiten. Wo sollte der die Kapazitäten hernehmen?

IT-DIRECTOR: Das ist eine Sache. Geht es aber nicht auch um Kompatibilität?
U. Bergmann:
Stimmt, aber die Offenheit ist inzwischen extrem groß. Mittlerweile werden Systementscheidungen – außer natürlich ERP – nicht mehr zwingend in der Konzernzentrale getroffen, sondern vielleicht sogar vom regionalen Vertriebsleiter. Wenn beispielsweise ein altes, starres CRM-System die Vertriebsorganisation ausbremst und die Ziele mit einem modernen, schlankeren System viel besser erreicht werden können, tauscht man die Systeme aus. Die Daten in das jeweilige Kernsystem einzuspeisen, ist kein Hexenwerk mehr.

IT-DIRECTOR: Schnittstellen müssen trotzdem erstellt werden?
U. Bergmann:
Es gibt mittlerweile eine Reihe permanent gepflegter Standard-APIs, aber klar: Integration ist ein Thema. So sagt Gartner voraus, dass 50 Prozent der künftigen IT-Aufwendungen für die Aufrechterhaltung der Integration der verschiedenen Systeme aufgebracht werden müssen. Nicht nur für die internen Systeme, sondern auch für das Andocken externer Plattformen, z.B. zur direkten Kommunikation mit Kunden, Lieferanten und Partnern. Digitalisierung hört ja nicht an den Unternehmensgrenzen auf.

IT-DIRECTOR: Digitalisierung und digitale Transformation sind sehr strapazierte Begriffe. Und Digitalisierung gibt es ja nicht erst seit gestern.
U. Bergmann:
Ja, wobei beide Bergriffe nicht synonym sind. Unter Digitalisierung verstehe ich zunächst das Ersetzen analoger Prozesse durch digitale, es geht vornehmlich um die Optimierung und Effizienzsteigerung bestehender Abläufe.

Der Begriff ‚Digitale Transformation’ hingegen reicht viel weiter. Es geht darum, seine Prozesse und vielleicht sogar sein gesamtes Geschäftsmodell infrage zu stellen. Im Fokus steht die Frage, wie man sein Unternehmen unter Zuhilfenahme der Möglichkeiten der Digitalisierung neu aufstellen kann. Das können zusätzliche digitale Vertriebswege sein, eine gezieltere Kundenansprache über digitale Kanäle oder Forschung und Entwicklung mit Virtual Reality.

Wenn sich ein Automobilkonzern heutzutage mehr als Service-Company definiert, die Mobilität liefert, ist das eine komplett neue Denkweise. Mit Konzepten wie Car2Go könnte man ja meinen, sich sein eigenes Geschäft zu zerschießen.

IT-DIRECTOR: Ähnlich wie bei Microsoft, wo die Cloud das traditionelle Lizenzgeschäft ablöst.
U. Bergmann:
Exakt. Man muss sich überlegen, ob man neu denken oder an alten Geschäftsmodellen festhalten möchte und damit das Risiko eingeht, dass ein Wettbewerber neue Wege geht und Marktanteile gewinnt. Dieses Neudenken ist in meinen Augen Digitale Transformation. Die muss nicht immer radikal sein und muss auch nicht das gesamte Unternehmen betreffen. Dennoch ist es ratsam, zu hinterfragen, ob das eigene Business-Modell auch in fünf Jahren noch erfolgreich sein kann.

Wenn in Zukunft die persönliche Beziehung zum Verkäufer vielleicht noch weniger zählt und sich der Verkauf noch mehr ins Internet verlagert, sollte ein entsprechendes digitales Angebot vorhanden sein. Die junge Generation fragt inzwischen als erstes, ob es eine digitale Alternative zum manuellen Prozess gibt – und wenn ja, nutzen sie sie. Ein Beispiel ist das Abfotografieren und Versenden von Versicherungsrechnungen via App, was bislang auf dem Postweg geschah. Wird dieser Service nicht geboten, sind die potentiellen Kunden schnell beim digital orientierten Wettbewerb. Damit entsteht eine ganz neue Erwartungshaltung, auch hinsichtlich neuer Services im Business-Umfeld – wie etwa die oft genannte Predictive Maintenance.

IT-DIRECTOR: Als Einstiegspunkt für IoT wird häufig Predictive Maintenance genannt, für die meist die reine Laufleistung erfasst wird. Wäre es jedoch nicht zielführender, wenn man zudem auch wüsste, wie viele Tonnen ein Aufzug beispielsweise transportiert hat?
U. Bergmann:
Die heutigen Sensoren können bereits sehr viele verschiedene Messungen vornehmen, beispielsweise Schwingungen. Es zählen die relevanten Aspekte: Ist das Gewicht relevant, nimmt man es auf.

Es geht darum, die echte Abnutzung und den echten Zustand permanent zu erfassen. Vielleicht ist die turnusmäßige, manuelle und im Grunde retrospektive Wartung dann irgendwann obsolet. Natürlich müssen Reparaturen immer noch manuell erfolgen, aber es müssten keine Servicetechniker mehr einmal im Jahr prophylaktisch prüfen, ob der Aufzug in Ordnung ist.

IT-DIRECTOR: Im IoT-Kontext besonders interessant sind Aggregatzustände wie Druck, Temperatur oder Anlaufgeschwindigkeiten, mit denen Maschinen die besten Ergebnisse liefern? Könnten die Systemhäuser diese Daten nicht an die Anwender verkaufen?
U. Bergmann:
Exakt damit beschäftigt sich unser Team von Data Science. Das Ziel ist es, die richtige Balance aus Kosten, Materialeinsatz und Qualität zu finden. Entscheidend ist die optimale Einstellung der Maschinen, weswegen sie sich selbst permanent überprüfen und im Zweifel automatisch nachjustieren.

Die Max-Con Data Science hat für den Einzelhandel – eigentlich nicht unsere Kernbranche – ein Produkt entwickelt, das den richtigen Zeitpunkt für Preissenkungen ermittelt. Man kann beispielsweise überwachen, wie sich der Artikelpreis im Internet entwickelt. Um zu verhindern, dass jemand einen Schuh im Laden anprobiert, um ihn dann im Internet zehn Prozent billiger zu erstehen, kann der Algorithmus berechnen, zu welchem Preis der Kunde den Schuh wahrscheinlich gleich mitnehmen würde. Darin steckt ein gewaltiger Hebel.

Vieles ist noch in der Erprobungsphase, aber die Möglichkeit, sich individuell auf die Kunden einzustellen, bietet definitiv neue Möglichkeiten, die wir unseren Kunden aufzeigen wollen. Zum einen durch Beratung, zum anderen mit einer breiten Produktpalette und Know-how in allen Bereichen.

Wir können und wollen den Kunden natürlich nicht ihr Geschäftsmodell erklären, aber wir wollen ihnen zeigen, wie man Innovationsprozesse starten kann – beispielsweise Design Thinking. Neu zu denken hört sich einfach an, es ist jedoch alles andere als einfach, ein jahrelang gut funktionierendes Geschäftsmodell über Bord zu schmeißen. Es gibt Übergangs- und Testphasen, es gibt Iterationen, letztlich können Projekte auch scheitern.

IT-DIRECTOR: Wie vermitteln Sie Ihren Kunden diesen Ansatz, dass Dinge im Zuge der Digitalen Transformation auch scheitern können?
U. Bergmann:
Wir können die neuen Technologien anbieten, wir können die Orchestrierung dieser Technologien anbieten und wir können Hilfestellung bei neuen Themen bieten. Aber die Erkenntnis und der Wille müssen vom Kunden kommen. Für Kunden, denen die neuen Ansätze nicht behagen, betreiben wir weiterhin klassisch das ERP-System. Aber ich glaube, dass man sich dem Wandel der Geschäftswelt und der Gesellschaft langfristig nicht wird entziehen können. Wir selbst befinden uns ebenfalls in der Digitalen Transformation, es ist unser mit Abstand größtes internes Projekt. Aber wir wollen den Zeitpunkt der Erneuerung nicht verpassen.

Von den Kutschern über die Dampflok bis zur Textilindustrie gibt es in der Industriegeschichte genügend Beispiele für weitreichende Umwälzungen, die digitale Disruption geschieht im Vergleich dazu einfach nur viel schneller. Dabei findet sie in einigen Branchen sehr viel eher statt als in anderen.

Im Industrie- und Produktionsbereich schlägt sie wahrscheinlich nicht zuerst durch, datenbasierte Unternehmen wie Versicherungen und Banken sollten sich allerdings jetzt überlegen, was sie besser können als ein potentieller digitaler Versicherungsanbieter wie Amazon mit Zugang zu Millionen Konsumentendaten. Amazon könnte Haftpflichtversicherungen wahrscheinlich für die Hälfte anbieten, weil keine Provisionen für Vertreter anfallen. Der Käufer legt die Versicherung dann einfach mit seinen anderen Einkäufen in den Warenkorb.

Für Cosmo zählt, nicht nur irgendeine Software zu verkaufen und dadurch unsere Mitarbeiter zu versorgen, sondern in einer Phase wie der jetzigen dafür zu sorgen, dass unsere Kunden als Gewinner der Digitalisierung hervorgehen. Wenn unsere Kunden den Zug verpassen, können wir uns intern noch so gut aufstellen, dann werden wir mit untergehen. Sind sie erfolgreich, sind auch wir erfolgreich.

IT-DIRECTOR: Im Zusammenhang mit Digitaler Transformation ist häufig von Big Data die Rede. Große Datenmengen alleine nützen jedoch wenig.
U. Bergmann:
Genau. Wir ziehen die Daten aus den Sensoren in unsere BI-Software – meist Power BI –, belegen sie dann mit den entsprechenden Algorithmen, die wiederum die Daten an das ERP-System weitergeben und daraus Handlungsempfehlungen generieren.

IT-DIRECTOR: Inwieweit fragen aufgrund der erreichten Marktstellung auch Anwender mit anderen ERP-Kernsystemen Power BI und Azure nach, um IoT-Auswertungen zu fahren?
U. Bergmann:
Dies passiert häufiger. Natürlich gibt es verschiedene BI-Systeme, wir haben beispielsweise auch Qlik im Portfolio, das große Stärken hat. Aber Power BI ist im Vergleich ein sehr performantes Visualisierungs-Tool und Azure als Cloud-Plattform bietet ein riesiges Spektrum an Features: Ein Großteil der Intelligenz wird über Azure geliefert.

Das Wachstum von Azure ist weltweit enorm, auch als Integrationsplattform. Letzteres ist für uns entscheidend, um die Daten in einem Common Data Model zu verarbeiten. Für datenintensive Systeme würde ich heute keinem Kunden mehr eine On-Premise-Lösung empfehlen. Vor allem mit Blick darauf, dass die Datenmengen in den kommenden Jahren noch einmal deutlich anwachsen werden.

IT-DIRECTOR: Solange die Grundvoraussetzungen wie Sicherheit und Datenschutz stimmen ...
U. Bergmann:
An dieser Stelle tut Microsoft in meinen Augen eine Menge. Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass man seine IT im firmeneigenen Keller sicherer als Microsoft betreiben kann. Wenn die Geheimdienste an die Daten heranwollen, wird man sie kaum aufhalten können. Wenn sie selbst die Kanzlerin abhören können, kommen sie auch an die Daten mittelständischer Unternehmen.

IT-DIRECTOR: Das ist ein recht fatalistischer Denkansatz.
U. Bergmann:
Aber es ist genau so. Wenn ich eine Alarmanlage installiere, muss jeder Alarmanlagenverkäufer zugeben, dass echte Profis trotzdem ins Haus kommen. Ist das fatalistisch oder einfach nur realistisch?

Es gibt ja auch Annahmen, nach denen jedes große Unternehmen bereits gehackt wurde, allerdings nur etwa 20 Prozent davon wissen. In manchen Unternehmensnetzwerken hielten sich Eindringlinge nachweislich über 20 Jahre hinweg unentdeckt auf. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass die Cloud sicherer ist als alle Alternativen.

IT-DIRECTOR: Was macht die Cloud darüber hinaus alternativlos?
U. Bergmann:
Heutzutage zählt beim Aufsetzen neuer Technologien meist der Faktor Einfachheit. In der Cloud kann man rasch Systeme aufsetzen und jederzeit umkonfigurieren, man kann Komponenten hinzu- oder abschalten. Langwierige Bestellungen entfallen, auch muss man sich um die Ausfallsicherheit keine Gedanken machen. IT wird zunehmend wie Strom bezogen.

Vielleicht muss man diesen Markt, so denn alle Unternehmen irgendwann in der Cloud sind, ähnlich wie den Strommarkt regulieren, weil es um die allgemeine Versorgungssicherheit und um Systemrelevanz geht. Denn fielen Teile der Cloud aus, könnte die Wirtschaft nicht mehr produzieren.

IT-DIRECTOR: Die ursprünglich reine Online-Version von Dynamics 365 wurde infolge der Intervention deutscher Microsoft-Partner auch on-premise bereitgestellt. Nur ein Intermezzo? Oder werden auch die ERP-Systeme in die Cloud verlagert?
U. Bergmann:
Ja, aus meiner Sicht schon, wobei sich im ERP-Bereich die hybriden Varianten durchsetzen werden. Viele unserer Kunden aus dem produzierenden Umfeld sitzen nicht an den großen Internetknotenpunkten, von daher muss die Politik für eine Verbesserung der Infrastruktur sorgen. Wäre hundertprozentige Verfügbarkeit gegeben, bräuchte man noch nicht einmal unbedingt hybride Infrastrukturen.

Wer bei der Digitalisierung mitspielen möchte, landet irgendwann automatisch in der Cloud. Noch kann man den Zeitpunkt vielleicht ein wenig hinauszögern, in fünf Jahren aber wird das kein Thema mehr sein. Die gesamte Intelligenz wird in der Cloud vorgehalten, nicht lokal. Die Unternehmen werden große Vorteile in der Cloud haben, auch diejenigen, die ihr ERP-System dort betreiben.

IT-DIRECTOR: Wann setzte diese Überzeugung ein?
U. Bergmann:
So überzeugt bin ich noch nicht allzu lange. Vor einem Jahr noch haben wir sehr intensiv mit Microsoft diskutiert, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, doch schon heute haben wir für lokale Installationen fast keine Anfragen mehr. Mittlerweile sind die Kunden soweit, in die Cloud zu gehen, wenn sie nicht bereits diverse Systeme in der Cloud betreiben. Natürlich gibt es noch Sicherheitsbedenken, die Realität ist aber doch, dass sie auch Konstruktionszeichnungen über unverschlüsselte E-Mails verschicken. Versendet man eine Mail vom iPhone auf ein Android-Gerät, werden die Daten in der Apple- und der Google-Cloud alle gespeichert. Sie sind also sowieso in der Cloud. Die Cloud ist einfach mittlerweile ein Teil der Realität.

IT-DIRECTOR: Sie sprachen eben die Politik an. Steht die IT-Industrie bei solch umwälzenden Themen in Kontakt zum Gesetzgeber?
U. Bergmann:
In jedem Fall, denn die Politik muss dringend an Geschwindigkeit zulegen, weil sich das Tempo der Innovation extrem beschleunigt hat. Gesetzgebungsverfahren von fünf oder sechs Jahren sind absolut nicht mehr zeitgemäß. Die Politik muss handlungsfähig bleiben und Strukturen schaffen, die sie adäquat auf solch dynamische Entwicklungen reagieren lässt.

Man sollte die Aufstellung der Regeln nicht alleine den Tech-Giganten überlassen, sondern sollte im Sinne der Gesellschaft das Heft des Handelns in der Hand halten. Auch wenn ich kein Fan von Regulierungen bin, sind Humanismus und Ethik wichtige Faktoren. Mittlerweile geht es um weltweite Umwälzungen, Digitalisierung ist nie lokal. Mit kleinteiligem Denken kommt man folglich nicht voran. Zumindest sollten europäische Regelungen gefunden werden, die die Interessen aller Parteien wahren.

Bildquelle: Daniela Glunz

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